FG München zum Auskunftsanspruch gegen das Finanzamt
In einem aktuellen Urteil (FG München, Urteil vom 4.11.2021, Az. 15 K 118/20) hat das Münchner Finanzgericht festgestellt, dass der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO grundsätzlich auch im Steuerverfahren für die vom Finanzamt verarbeiteten Daten gilt und dieser nicht in das Ermessen der Finanzbehörde fällt. Im Rahmen des Urteils hat sich das FG München mit der praxisrelevanten Frage nach der datenschutzrechtlichen Behandlung umfangreicher Aktensammlungen befasst.
Das Wichtigste in Kürze
1. Sachverhalt
Unter Berufung auf Art. 15 DSGVO begehrte der Kläger vom Finanzamt Auskunft im Hinblick auf sämtliche vom Finanzamt verarbeiteten Daten. Insbesondere verlangte er eine vollständige (Farb-)Kopie seiner Steuerakten sowie sämtlicher Nebenakten samt der darin enthaltenen Vermerke.
Nachdem die Finanzbehörde ihm Zweitdrucke sämtlicher offenen Steuerbescheide und dem des Erstjahr vorangegangenen Jahres (über 10 Jahre) einen Ausdruck des Erhebungskontos, eine Grunddaten- und eine Übersicht der eDaten ausgehändigt hat, weitere Auskünfte hingegen ablehnte, erhob der Kläger eine Verpflichtungsklage. Darin begehrte er die Vorlage weiterer Daten, vor allem aber eine vollständige Aktenkopie.
Daraufhin wurden dem Kläger weitere Ausdrucke aus den Datenbanken der Finanzbehörde ausgehändigt, Auskünfte hinsichtlich festsetzungsnaher Daten, BP-Informationen, des Datenblatts des Risikomanagementsystems und eine Kopie der Steuerakten verweigerte das Finanzamt hingegen weiterhin.
2. Urteil des FG München
Das Gericht hat die Klage abgewiesen und entschieden, dass der DSGVO-Auskunftsanspruch zwar grundsätzlich auch im Steuerverfahren (auch für direkte Steuern) geltend gemacht werden kann. Allerdings umfasst der Anspruch nicht das Einsichtsrecht in die Steuerakte, einzelne Verwaltungsdokumente und eine Überlassung einer Kopie dieser Dokumente(-sammlung). Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass der Auskunftsanspruch zeitlich begrenzt gilt. Nämlich nur im Hinblick auf die Daten noch nicht abgeschlossener Besteuerungszeiträume.
3. Umfang des Auskunftsanspruchs
Vom Auskunftsanspruch umfasst ist das Recht auf Ausdruck oder die Zurverfügungstellung der Daten mittels Onlinezugang aus den Datenbanken des Finanzamts. Darunter fallen insbesondere Grunddaten, eDaten, bei den Festsetzungsdaten die Eingabedaten sowie die Berechnungsergebnisse, die Festsetzungsauskunft, die Erhebungsübersicht, die Datenbankrechtsbehelfe und das Erhebungskonto.
Vom Auskunftsanspruch hingegen nicht erfasst sind Auskünfte im Hinblick auf das Kontrollmaterial oder Verdachtsspuren (BP-Meldungen, BP-Informationen, Datenblatt Risikomanagementsystem, festsetzungsnahe Daten, Vermerke zur Vorbereitung der Entscheidung sowie die Entscheidungsdokumentation).
Im Rahmen des Urteils hat das Gericht festgestellt, dass der Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung zwar eröffnet sei, jedoch nur insoweit, als die personenbezogenen Daten durch die Finanzbehörde zum Teil auch (teil-)automatisiert im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Alt. 1 DSGVO verarbeitet werden.
Unter personenbezogenen Daten im Sinne der DSGVO seien im vorliegend zu entscheidenden Fall sämtliche Einzelangaben zu verstehen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen.
4. Anwendung der DSGVO auf umfangreiche Aktensammlungen
Da es bisher an einer Rechtsprechung zur datenschutzrechtlichen Behandlung dermaßen umfangreicher Aktensammlungen wie die Steuerakte, die eine große Anzahl nicht hinreichend strukturierter Dokumentenbündel enthält, fehlt, hat das Münchner Gericht es für geboten gehalten, den Anwendungsbereich sowie die Rechte der DSGVO für solche umfassende Aktensysteme differenziert zu betrachten.
Einzelangaben, die im vorliegenden Fall in den Datenbanken der Finanzämter gehalten werden, fallen zweifelsfrei in den Anwendungsbereich der DSGVO, weil sie konkret zur maschinellen Verarbeitung gespeichert werden. Auch die Einzelangaben, die im Rahmen der Steuerveranlagung den Steuerbescheiden zugrunde gelegt werden, wie beispielsweise die der Steuerberechnung zugrunde liegenden verkennzifferten Besteuerungsgrundlagen, da sie Ausgangspunkt der maschinellen Steuerberechnung sind. Dasselbe gilt für das Ergebnis der Steuerberechnung sowie in den Bescheiden ausgewiesenen (Teil-)Ergebnisse, die erzeugte personenbezogene Daten darstellen und für eine potenzielle weitere Verarbeitung in den Datenbanken gespeichert werden.
5. Zweifelsfrei liegen darin DSGVO-relevante Datenverarbeitungen durch die Finanzbehörde vor.
Anders als bei einer Sammlung von Einzelblättern, die in sich strukturiert sind, ist der Aufwand des Raussuchens einzelner Angaben zu einem bestimmten Kriterium aus einer Akte nicht gerade leicht. Vielmehr ist anzunehmen, dass es einer Person nur unter nicht unerheblichem Zeitaufwand möglich wäre, eine Auskunft aller Einzelangaben aus den Schriftstücken einer umfangreichen Steuerakte zu erteilen. Daher kann bei Akten, insbesondere solchen in Papierform, die aus umfangreichen und unstrukturierten Einzeldokumenten bestehen, in der Regel nicht von einer Speicherung in einem Dateisystem ausgegangen werden, sodass weder eine (teil-)automatisierte noch eine nicht automatisierte DSGVO-relevante Datenverarbeitung vorliegt.
Soweit das Heraussuchen der Einzelangaben, die in den Volltexten einer Akte enthalten sind, nur unter erheblichem manuellen personellen Aufwand möglich ist, wie es im zu entscheidenden Fall läge, überwiegt das Interesse der Verwaltung an der Vermeidung der Auskunftserteilung in der Regel das Interesse des Betroffenen auf Auskunft.
6. Ausblick
Das Urteil, in dem sich das Münchner Finanzgericht umfassend mit dem Begriff „Personenbezug“ sowie der manuellen oder (teil-)automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten sowie der datenschutzrechtlichen Behandlung umfangreicher Aktensammlungen, die aus einer großen Zahl nicht strukturierter Dokumentenbündel bestehen, wie es bei Steuerakten regelmäßig der Fall ist, auseinandergesetzt hat, stellt zwar eine nützliche Orientierungshilfe dar. Dennoch kann anderslautende Instanzenrechtsprechung nicht ausgeschlossen werden, sodass es stets auf eine datenschutzrechtliche Betrachtung des Einzelfalls ankommt.